Fabian oder der Gang vor die Hunde

So 17.10.2021, 19:00 Uhr
Eintritt: 8,50€/6,50€

Deutschland 2021, Regie: Dominik Graf, 176 Min. (ÜBERLÄNGE), mit Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, Aljoscha Stadelmann, Michael Wittenborn u.a.
Im Berlin des Jahres 1931 lässt sich der Germanist Fabian (Tom Schilling) durch das Leben treiben. Während er tagsüber für eine Zigarettenfirma textet, macht er nachts mit seinem Freund Labude (Albrecht Schuch) die Unterweltkneipen und Künstlerateliers unsicher. Doch das sorglose Leben wird durch das Erstarken der Nationalsozialisten zunehmend bedroht. Basierend auf einem Roman von Erich Kästner gelingt Dominik Graf eine formal brillante Bestandsaufnahme einer Gesellschaft am Abgrund.

Filmkritik Programmkino.de:
Berlin gegen Ende der Weimarer Republik. Die Stadt brodelt, das Leben oszilliert zwischen Vergnügungssucht und Resignation, in der Gesellschaft gärt es. Kriegstraumata, Arbeitslosigkeit, Depression und Sehnsucht nach Liebe. Jakob Fabian (Tom Schilling) arbeitet eher erfolglos in der Werbeabteilung eines Zigarettenherstellers. Der Germanist will eigentlich Schriftsteller werden. Stattdessen schreibt er Zigarettenreklame. Nicht zuletzt deshalb hadert er mit sich selbst.

Seine Nächte sind chaotisch. Und sie spucken ihn am Morgen wieder vor seinem möblierten Zimmer in der Schaperstraße aus. Eines Abends trifft er im Berliner Nachtleben die selbstbewusste Cornelia von Battenberg (Saskia Rosendahl), „Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, und von zwei Männern wurde ich stehen gelassen. Stehengelassen wie ein Schirm, den man absichtlich irgendwo vergisst“, gesteht sie ihm. „Stört Sie meine Offenheit?“, will die junge Frau von ihm wissen. Für Fabian ist sie die Liebes seines Lebens. Er fühlt sich herausgefordert.

Die großartige Liebesgeschichte zwischen ihr und Fabian steht im Mittelpunkt des Films. Gemeinsam mit ihr und seinem wohlhabenden Freund Labude (Albrecht Schuch) stürzen sich die drei in die letzten Jahre der Weimarer Republik. Der Millionärssohn und Kommunist Labude träumt von einer Revolution der Klassen. Gleichzeitig schreibt der Sohn eines erfolgreichen Anwalts fünf Jahre lang an seiner Dissertation über das Werk Lessings. Und traut sich nicht sie endlich seinem Professor abzugeben. Er ist reich, aber unglücklich. Seine Verlobte hat ihn kurz vor der Hochzeit betrogen. Sein Vater betrügt die Mutter mit einer jungen Geliebten, die ebenfalls hintergeht.

„Im großen Buch der Liebe steht links geschrieben, wer wen zuerst verlässt“, sagt Labude lapidar. Es funktioniert ziemlich gut, wie Dominick Graf für seine Protagonisten immer wieder Kästner-Sätze ins Drehbuch einbaut. Und auch die Erzählerstimmen aus dem Off wirken nicht aufgesetzt. Es ist schlussendlich Cornelia, die sich entfernt. Als Justiziarin einer Filmproduktionsfirma lässt sie sich von ihrem alten Chef umgarnen. Filmproduzent Markart (Aljoscha Stadelmann) lockt sie mit dem Versprechen einer Karriere als Schauspielerin. Dem arbeitslosen Fabian versucht sie das Ganze pragmatisch als Existenzsicherung zu verkaufen, von der auch er profitiert. Doch damit kann er sich nicht arrangieren.

Für ihn hat sie sich damit ans große Geld verkauft. Ihre zerbrechliche Liebesgeschichte bekommt Risse. Der gebürtige Ostberliner Tom Schilling überzeugt als Fabian in jeder Minute. Verletzlich, abgeklärt, mit einer Neugier aufs Leben, aber gleichzeitig vom Zweifel beherrscht. Der 39jährige knüpft mühelos an seine Paraderolle in der wunderbaren Tragikomödie „Oh Boy“ an. Ein Melancholiker, desinteressiert an Macht und Geld, leidend daran, nicht anders zu können. Ein Moralist, dessen angestammter Platz, so Kästner, immer der verlorene Posten ist und dessen Wahlspruch „Dennoch“ ist.

Der vielfache Grimmepreisträger Dominik Graf und sein Kameramann Hanno Lentz verführen mit unerwarteten Nahaufnahmen und fiebrigen Bildern, die zwischen Stummfilmästhetik, Schnittgewittern, Handkameragewackel und klassischen Dialogszenen wechseln. Voller Energie, mit emotionaler Kraft zeigt Graf den Klassiker der deutschen Literatur als scharfsinnige Avantgarde. Dem „Völkischen Beobachter“ galt Erich Kästners „Fabian“ als „Sudelroman“. Als die Bücher brannten auf dem Berliner Opernplatz, da brannte „Fabian“ ganz oben auf. Das Schlussbild erinnert daran.